Ist das Stromnetz in Deutschland bereit für die Energiewende?

Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Strom aus erneuerbaren Energien spielt dabei eine zentrale Rolle. Doch der Ökostrom muss nicht nur produziert, sondern auch verteilt werden. Deshalb wird das Stromnetz in Deutschland für die Energiewende umgebaut. Das gilt für die Übertragungsnetze, die Strom mit Höchstspannung über weite Strecken transportieren, ebenso wie für die Verteilnetze, die den aus allen Richtungen kommenden Strom aufnehmen und über die Hoch-, Mittel- und Niederspannungsleitungen zu den Haushalten und Unternehmen transportieren. Erenja erklärt, vor welchen Herausforderungen die Netzbetreiber dabei stehen. 

Mit der Energiewende wird die Stromerzeugung dezentraler

Unser Stromnetz stammt noch aus einer Zeit, als der Strom nur in eine Richtung floss: vom Kraftwerk zu den Verbraucher*innen. Heute aber gibt es einen je nach Wetterlage schwankenden Gegenverkehr – etwa von den inzwischen rund 3,7 Millionen Photovoltaikanlagen auf deutschen Dächern bis hinauf in die Übertragungsnetze.  

Die Energiewende bringt es mit sich, dass immer weniger Großkraftwerke ins Stromnetz einspeisen, dafür steigt die Anzahl der im ganzen Land verteilten kleinen gewerblichen und privaten Stromerzeuger. Nicht nur Privathaushalte und Firmen speisen den Strom von ihren PV-Dächern ein, auch Landwirte erzeugen grüne Energie mit Biomasse von ihren Äckern. Ebenso ersetzen Freiflächen-Photovoltaikanlagen, Windparks und Geothermie-Anlagen zunehmend fossile Kraftwerke. Die Stromerzeugung wird dezentraler.

Stromnetz in Deutschland: 1.000 Kilometer zusätzliche Trassen benötigt

Die Erzeugungsorte befinden sich oft nicht mehr dort, wo besonders viel Strom gebraucht wird. Windenergie zum Beispiel wird vor allem im Norden Deutschlands erzeugt, während Solaranlagen im Süden besonders viel Strom produzieren. Das führt zu regionalen Erzeugungsüberschüssen oder -defiziten. Damit die Energie künftig da ankommt, wo sie benötigt wird, müssen die Übertragungskapazitäten ausgebaut werden. Die vier großen deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben errechnet, dass bis 2030 rund 1.000 Kilometer Höchstspannungstrassen benötigt werden, zusätzlich zu denen, die bereits im Bedarfsplan des Bundes stehen. Auch vorhandene Verbindungen gilt es zu verstärken. Wichtigstes Ziel dabei: die Anbindung der Windstromerzeugung auf dem Meer an das Übertragungsnetz an Land.   

Schwankende Einspeisung, steigender Stromverbrauch

Besonders Verteilnetzbetreiber stellt die Energiewende vor große Herausforderungen. Schon heute sind mehr als 95 Prozent der Ökostrom-Einspeiser an die Mittel- und Niederspannungsnetze angeschlossen. Dies sorgt für unzählige Knotenpunkte in den Netzen, an denen Strom fließt, mal in riesigen Mengen und dann wieder nur in kleinen Portionen. Denn Wind und Sonne sind launisch – mal erzeugen sie zu viel Strom, mal zu wenig. Um die Netze stabil zu halten, müssen Erzeugung und -verbrauch jederzeit im Gleichgewicht sein. Der Stromverbrauch richtet sich aber nicht danach, wann die Erneuerbaren liefern – zumindest noch nicht. Außerdem dürfte der Bedarf an grünem Strom weiter steigen, etwa durch den Hochlauf der E-Mobilität, Wärmepumpen und Elektrolyseure, die mit erneuerbarem Strom Wasserstoff für die Industrie herstellen. Expert*innen schätzen, dass sich unser Stromverbrauch bis 2045 verdoppeln wird. Doch dafür ist ein Großteil der örtlichen Stromverteilnetze nicht ausgelegt.

Ohne Speicher stottert die Energiewende

Windkraft- und Solaranlagen liefern oft einen Überschuss an Energie. Deshalb sind Speicherbatterien so wichtig für die Energiewende. Sie können den grünen Strom aufnehmen und ihn bei „Dunkelflauten“, in denen der Strombedarf hoch ist, aber weder die Sonne scheint noch der Wind weht, zur Verfügung stellen. Auf der Hochspannungsebene tragen Großspeicher dazu bei, mehr erneuerbare Energien in das Energiesystem zu integrieren. Bei gewerblichen Wind- und Solarparks werden Netzspeicher heute oft schon gleich mit eingeplant, um Strom in Zeiten des Überangebots zwischenlagern und ihn bei hoher Nachfrage einträglich verkaufen zu können. Wer ein Eigenheim besitzt, kombiniert Batteriespeicher meist mit einer PV-Anlage, um Solarstromüberschüsse aus den Mittagsstunden mit in den Abend zu nehmen. Das Elektroauto lädt dann auch nachts mit kostenlosem Solarstrom, wenn es tagsüber keine Gelegenheit dazu gab. Positiver Nebeneffekt: Heimspeicher helfen dabei, die Einspeisespitzen von PV-Anlagen im Sommer aufzufangen und entlasten so das Stromnetz. Aber auch E-Auto-Batterien könnten in Zukunft verstärkt als Stromspeicher dienen und damit Teil der Energiewende werden.

Smart Grids braucht das Land

Verteilnetzbetreiber arbeiten bereits an der Weiterentwicklung ihrer Infrastrukturen hin zu intelligenten Stromnetzen, sogenannten Smart Grids. Parallel zum physikalischen Stromnetz entsteht dabei eine Art Informations­netz, das in Echtzeit alle Stromflüsse im Verteilnetz digital erfasst und es ermöglicht, die Energie automatisiert genau dorthin zu leiten, wo sie gerade gebraucht wird. Dazu wird das Netz mit intelligenter Mess-, Regelungs- und Steuerungselektronik ausgestattet. Ein Smart Grid stimmt Stromerzeugung, -speicherung und -verbrauch optimal aufeinander ab und gleicht so Schwankungen im System aus, die mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zunehmen. 

Energiewende mit intelligenten Stromzählern

Neben Messeinrichtungen an Umspannanlagen und Ortsnetzstationen sind Smart Meter ein Baustein der intelligenten Stromnetze. Die digitalen Stromzähler messen eigenständig die aktuellen Energieverbräuche etwa von Haushalten und übertragen sie via Internetschnittstelle (Smart-Meter-Gateway) an die Stromkund*innen, Energielieferanten und Netzbetreiber. Die Haushalte können dadurch ihre Verbräuche besser kontrollieren und von flexiblen Ökostromtarifen profitieren – oder auch den Strom ihrer PV-Anlage über den Tag cleverer nutzen, um ihre Stromkosten zu senken.  

 

Ebenso ermöglichen es Smart Meter Netzbetreibern, Erneuerbare-Energien-Anlagen und steuerbare Verbraucher wie Wallboxen für Elektroautos oder strombetriebene Wärmepumpen effizienter in ihre Verteilnetze zu integrieren. Wenn es am Ende gelingt, Erzeuger, Batteriespeicher und Verbraucher so zu vernetzen, dass vor allem vor Ort erzeugter Ökostrom die Wärmepumpe antreibt und das Elektroauto lädt, ist ein großer Schritt in Richtung klima­neutrale Energiezukunft getan.  

Netzbetreiber dürfen Hausbesitzern den Strom drosseln

Wo es im Stromnetz eng wird, dürfen die Verteilnetzbetreiber seit 2024 vorübergehend die Leistung drosseln. Wichtig: Es geht hier nicht um den Haushaltsstrom für Kühlschrank, Computer & Co. Betroffen von der neuen Reglung sind lediglich neu eingebaute, steuerbare Wärmepumpen, Wallboxen und leistungsstärkere Klimaanlagen. Aber auch für sie muss immer eine Mindestleistung von 4,2 Kilowatt bereitstehen. „Damit können Wärmepumpen weiter betrieben und E-Autos in aller Regel in zwei Stunden für 50 Kilometer Strecke nachgeladen werden", gibt die Bundesnetzagentur bekannt. Im Gegenzug erhalten die Haushalte eine Ermäßigung. Entweder als jährliche Pauschale beim Netzentgelt oder als Reduzierung des Strom-Arbeitspreises um 60 Prozent für die jeweiligen Geräte. Wer sich für die Pauschale entscheidet, kann sich ab 2025 zusätzlich noch für ein nach Tageszeit gestaffeltes Netzentgelt entscheiden. Die Voraussetzung für all das ist ein intelligentes Messsystem, ein Smart Meter. 

Stromampel-App für Erneuerbare

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) hat eine Stromampel-App entwickelt, die in Echtzeit über den Anteil erneuerbarer Energien im europäischen Stromnetz informiert. Wer Wäschetrockner, Geschirrspüler & Co bei Grün anstellt, hilft so dem Klima. Nach den Entwicklern lässt sich die App auch mit Smart-Home-Geräten vernetzen. Nutzer*innen können so gezielt ihre Elektroautos oder Wärmepumpen mit klimafreundlichem Strom betreiben. Bislang gibt es die App nur für Android-Endgeräte zum Beispiel als Download auf Energy-Charts.info. An einer iOS-Version wird noch gearbeitet.

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