Schwimmende Windkraftwerke

Die Offshore-Windkraft gilt als Schlüssel, mit dem die Abkehr von den fossilen Energien und die Begrenzung der Erd­erwärmung gelingen kann. Was sie so interessant macht: Auf dem Meer bläst der Wind stetiger und kräftiger als an Land. Offshore-Wind­turbinen liefern daher doppelt so viel erneuer­baren Strom wie vergleich­bare Onshore-Anlagen, und das mit hoher Verlässlich­keit an mehr als 90 Prozent der Tage im Jahr.

Schwimmendes Windrad auf hoher See

Ganz weit draußen: Floating Offshore Wind Energy

Dennoch ist die Meeres-Wind­kraft im Vergleich zu der an Land ein Zwerg. Dafür gibt es einen guten Grund: Nur fünf Prozent der für die Wind­industrie attraktiven Meeres­zonen sind flach genug für herkömmliche Turbinen mit festem Funda­ment. Diese lassen sich nur in Wasser­tiefen von 30 bis 60 Meter wirtschaftlich errichten. Deshalb bringen Ingenieure den Wind­rädern seit ein paar Jahren das Schwimmen bei. Die Technologie heißt im Fach­jargon Floating Offshore Wind Energy und dient dazu, auch meilen­weit vom flachen Küsten­saum entfernte Standorte für die klima­freundliche Strom­erzeugung zu erschließen.

„Hywind“ Wind Farm: Tanzende Riesen

In einem tiefen nor­we­gischen Fjord wur­den die vor­ge­fer­tigten Bau­teile mit ho­hem Auf­wand mon­tiert und von See­schlep­pern zu ih­rem 500 Kilo­me­ter ent­fern­ten Be­stimmungs­ort gebracht.

Größte Windturbine in der Nordsee, Balmedie, Aberdeenshire, Schottland, UK, April 2018

Die weltweit erste kommerzielle Floating Offshore Wind Farm ging 2017 vor der schottischen Nord­see­küste ans Netz: „Hywind Scotland". Ihre fünf Turbinen stehen auf soge­nannten Spar-Bojen aus Stahl­rohr. Vom Fuß bis zur Rotor­spitze misst die ganze Konstruktion 253 Meter und über­ragt damit die New Yorker Frei­heits­statue zwei Mal. Ein Drittel der Stahl­konstruktion befindet sich allerdings unter Wasser. Allein dieses stabilisierende Ballast­teil bringt 3.500 Tonnen auf die Waage. Am Meeres­boden in bis zu 120 Metern Tiefe vertäut, tänzeln die Spar-Bojen lot­recht im Wasser, vergleich­bar mit dem Schwimmer einer Angel.

 

Stattliche 200 Millionen Euro kostete dieser Wind­park. Die Wind­erträge indes über­trafen selbst die kühnsten Erwartungen. Mehr als 50 Prozent des Jahres soll Hywind Scotland seine volle Leistung von 30 Mega­watt (MW) abrufen – ein neuer Rekord für die in Europa führende britische Off­shore-Wind­industrie. Ermutigt von diesem Triumph ging im Herbst 2021 vor Aber­deen ein zweites Projekt in Betrieb. Mit 50 MW galt „Kincardine“ ein Jahr lang als welt­größter schwimmender Wind­park. Rein rechnerisch können von seinen Erträgen 50.000 Haus­halte leben. Neuer Rekord­halter ist seit November 2022 die Hywind Tampen Floating Wind Farm. Zur Energie­wende dürften die elf nor­wegischen Turbinen der 8-MW-Klasse jedoch kaum beitragen, denn ihre Bestimmung ist es, fünf Öl- und Gas­förder­platt­formen mit grünem Strom zu versorgen.

Schwimmende Windkraftwerke: Kosten müssen sinken

Windrad Nezzy2 – das Doppelrotor-Ungeheuer

Weltweit werden Konzepte für die Floating Offshore-Wind­energie entwickelt und erprobt. Zu den radikaleren Ideen zählen Wind­räder mit nur zwei Flügeln oder gleich mit mehreren Rotoren auf einem Schwimm­körper. Im Greifs­walder Bodden haben der Energie­konzern EnBW und der nord­deutsche Wind­anlagen­bauer Aerodyn 2020 einen 18 Meter hohen Proto­typen mit zwei Rotoren im Maß­stab 1:10 erfolg­reich zum Schwimmen gebracht. Mit 180 Sensoren wurde untersucht, wie sich „Nezzy2“ bei wechselnden Winden und stürmischer See verhält. Jetzt ist man auf Suche nach einem geeigneten Stand­ort für einen 1:1-Prototypen.

Trotz Sturmtief „Gisela“ schwimmt Nezzy² stabil im Wasser. (Foto: Jan Oelker / EnBW / aerodyn)

Der Bau schwimmender Wind­turbinen stellt die Ingenieure vor große Heraus­forderungen. Schließlich müssen die Anlagen auch schwersten Stürmen und Riesen­wellen trotzen. Als Blau­pause für die Schwimm­körper dienen die Bohr­inseln der Öl- und Gas­industrie. Bislang werden diese in großen Trocken­docks nach komplizierten Bau­plänen zusammen­geschweißt, was die Fertigungs- und Montage­kosten explodieren lässt. Einer, der das ändern will, ist der Däne Henrik Stiesdal. „Wenn die Offshore-Erzeu­gung ein Schlüssel­element der künftigen Energie­versorgung werden soll, dann muss sie günstig sein“, lautet sein Credo. 1991 brachte Stiesdal als Chef­entwickler der Siemens-Wind­sparte den ersten Offshore-Wind­park der Welt vor der Insel Lolland ans Netz. Inzwischen hat er seine eigene Firma gegründet und arbeitet an der Vision, mit schwimmenden Wind­kraft­werken einmal die ganze Mensch­heit zu versorgen.
 

TetraSpar Floating Wind: Pyramiden auf See

Dazu hat er einen Schwimm­körper aus industriell vor­gefertigten Stahl­rohr­elementen in Form eines Tetraeders entwickelt, der im Hafen nur noch zusammen­gesteckt und mit Bolzen gesichert wird. Ein einzieh­barer Ballast­kiel hält die schwere Wind­turbine aufrecht. Er wird erst am Ziel auf den Meeres­boden herab­gelassen, die teure Montage im Tief­wasser entfällt. Mit inter­nationalen Partnern, darunter RWE Renewables, testet der Offshore-Pionier die „TetraSpar“ getaufte Plattf­orm seit Ende 2021 im 200 Meter tiefen Wasser vor der Atlantik­küste Norwegens.

 

>> Henrik Stiesdahl <<

„Mit herkömmlicher Offshore-Windkraft ließe sich der welt­weite Strom­bedarf vielleicht so gerade eben decken. Rechnen wir aber die schwimmenden Wind­räder dazu, könnten wir zehn­mal so viel Wind­strom erzeugen.“

Der dänische Pionier der Offshore-Wind­energie hat mit 16 Jahren seine erste Turbine für den elterlichen Hof entwickelt. 2018 war er für den Europäischen Erfinder­preis nominiert.

Henrik Stiesdal

Durchbruch für Floating Wind

Illustration Windräder in verschiedenen Meerestiefen

Legende: deep = tief, transitional = übergangs, shallow = seicht, power cable = Stromkabel, substation = Umspannwerk, power grid = Stromnetz


Viele Experten rechnen mit dem kommer­ziellen Durch­bruch für Floating Wind bis zum Jahr 2030. In Europa, Asien und den USA sind bereits Projekte im Giga­watt­bereich in der Planung. Hierzu­lande beschränkt sich das Enga­gement auf die Beteiligung an internationalen Forschungs­vorhaben: Nord- und Ostsee sind nun einmal flach genug für fest gebaute Wind­turbinen. Die Zukunfts­chancen auch für hiesige Wind­energie­unternehmen, die Technologie einmal zu exportieren, sind dennoch riesig. Denn nahezu überall auf dem Globus geht es an den Küsten rasant steil bergab. Für schwimmende Wind­räder aber wäre das keine Hürde. In Zukunft kommen sogar Länder für die Offshore-Wind­energie in Betracht, die gar nicht am Meer liegen. Sie könnten schwimmende Wind­kraft­werke einfach in internationalen Gewässern bauen. ­

Film ab für schwimmende Windkraftwerke!

 

In der Sendung Quarks zeigte der WDR die spektakuläre Montage des Windkraftwerks TetraSpar im Hafen von Grenaa in Dänemark.

Ikon Video

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TetraSpar Demonstrator ApS
Jan Oelker, EnBW
GELSENWASSER AG

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